Alexander Hamilton im Gedächtnis
Von David Hartstein, Juli 2004
In der New York Times vom 11.07.
gedenkt Ron Chernow, Verfasser dickbändiger Familienbiographien der Geldoligarchiehäuser Warburg, Morgan, Rockefeller, des Todes Alexander Hamiltons vor zweihundert Jahren in einem Duell, dessen Vorgeschichte und
Umstände einer gezielten Tötung dieses „most creative policymaker“ Amerikas gleichkamen. Chernow hat in diesem Jahr eine Biographie Hamiltons veröffentlicht, die man auch als Gegenpol zu den Gestalten
seiner bisherigen historischen Arbeit betrachten kann.
Denn Hamilton, dieser an Begabung und Voraussicht herausragendste Diener des Gemeinwesens Vereinigte Staaten von Amerika, ist nicht nur der meistverleumdete und
meistbeargwöhnte Erfinder eines Kredit- und Geldsystems, in dem das Gemeinwesen durch seine Selbstregierung Kredit und Geld schöpft und damit die Herrschaft über das Maß der
Währung und seinen Gebrauch behält; im Gegensatz zum System der Bank von England und der heutigen Federal Reserve,
in dem private Geldvermögensbesitzer sich der Regierung als Vermittlung zur Schöpfung und Vermehrung ihres Geldes bemächtigen.
Hamilton hat überdies (zusammen mit James Madison) auch die in der Verfassungsgeschichte des deutschen Reiches (und
anderer, weniger paradigmatisch in Betracht kommender Gemeinwesen) nie zu substantieller Verwirklichung und Dauer gelangende Idee des Föderalismus in der Neuen Welt der
dreizehn unabhängig gewordenen Staaten Neuenglands für die Verfassung neu begründet und in einer neuen Verfassung gegründet.
Trotz des seit mehr als zwei Jahrhunderten in den USA weiter verstohlen ausgetragenen Bürgerkrieges hat sich diese
Verfassung bislang als in Geltung erwiesen. Als Projekt einer wie schwach auch immer sich vernehmen lassenden Geistesverfassung eines anderen und neuen Europa ist sie
gegenwärtig geblieben. Die Gedankengänge der Erörterungen und Begründungen der Federalist Papers zur amerikanischen Verfassung lassen sich auch als die späte Lektüre einer
Flaschenpost lesen, die von Leibniz mit seiner Schrift zur Reichsreform dem Wellengang zur Neuen Welt mitgegeben
worden war.
Sollte die Menschheit wirklich einen Traum von sich haben, wie Marx in seinen jungen Jahren einmal Ruge gegenüber schwärmte
, dann konnte sich das intellektuelle Wunderkind Hamilton als Adjutant Washingtons, als Schlachtenheld, als Abgeordneter, als Staatsphilosoph und als Finanzminister der werdenden
Vereinigten Staaten durchaus als weltgeschichtlich Einziger in einem Traum sehen, in dem er zugleich Revolutionär und ein geistiger Führer zur Stabilisierung des neuen Gemeinwesens war
. Den Denkern des Gemeinwesens Kant, Hegel, Marx, aber auch zum Beispiel den Tätern Humboldt, Bismarck, Lenin war diese Koinzidenz der Wirksamkeit nicht vergönnt.
Doch, wie bislang immer in der amerikanischen Geschichte erweist sich nichts als so zuverlässig und gesetzmäßig wie die
zielsichere und oft todsichere Reaktion einer Feindschaft gegen eine solche individuelle Gestalt der Freiheit, die sich sowohl über das Mittelmaß und die Verblendungen der Demokratie emporhebt
als auch den vermögenden Gewalten die Grenzen des Gemeinwohls und des Rechts aller Individuen entgegensetzt.
Seit Lincoln duldet die amerikanische Verfassungswirklichkeit keine Persönlichkeit mehr im Amt des Präsidenten, dessen
Vollmachten noch in den Federalist Papers an der Ohnmacht des Kaisers im deutschen Reich Maß nahmen.
Wenn es eines Beweises hierzu bedürfte: Je „imperialer“ eine presidency sich in den USA oder in der Welt aufführt, desto
gewisser ist, daß sich in diesem Amt gerade kein souveränes Individuum befindet, das seine Wahl und Inauguration seinem Führen-Können verdankt.
Der Bürger Hamilton fiel, wider Willen, in einem aristokratischen Ehren-Ritual dem Vernichtungswillen eines
Gegners zum Opfer, der Vorbild und Ahnherr eben jener Reaktion war, die bis auf den heutigen Tag die Verwirklichung des Vorspruchs der amerikanischen Verfassung bis aufs Blut zu bekämpfen bereit ist.
In Zeiten des Niedergangs der amerikanischen Republik, in dem die Herrschaftseliten, je tiefer sie in die eigenen Abgründe
sehen, sich umso allmächtiger als Beherrscher eines Empire wähnen, kann ein erhabener Rückblick auf das Jahrtausendunternehmen der Gründung der Vereinigten Staaten einige Einsichten bieten, die sich nicht besser
zusammengenommen finden als in der Schrift „Poiesis – Verfassungsfragen“ von Hans Imhoff:
„Einige der Größten in der Welt begannen als Guerillaführer, so etwa der Harfist und spätere König der Juden David, oder
der Bodenspekulant und Tabakfarmer George Washington, welcher zuerst gegen Indianer und Franzosen kämpfte, später gegen die eigene Regierung in London, indem er mit geringer Truppenmacht zusammen mit dem ehemaligen
preußischen General Steuben (und, wie ich höre, mit Waffen, die bei Herrn Pierre Augustin Caron de Beaumarchais gekauft waren, dem Dichter der Hochzeit des Figaro) den wahren
Flächenbrand eines hochorganisierten Volkskrieges gegen die Regierungstruppen entfachte. Diese überragende Persönlichkeit der amerikanischen Geschichte vereinte in sich
jenes revolutionäre Moment und den Gegenpol einer fast steifen, aristokratisch-puritanischen Finanzbegabung, der es eben noch gelang, die beiden auseinanderstrebenden
Parteien der Föderalisten (Bundesstaatler) und Demokraten (Staatenbundler) zu bändigen. Amerika, das heutzutage beinahe das Stichwort für alle Übel einer boshaften, heruntergekommenen Menschenrasse ist, begann mit
solchen Männern, unter denen dieses Denkmal eines großartigen revolutionären Generals, genialen Politikers und Organisators und reichen Bürgers, der sein Land stets vor
fremden Einflüssen und langfristigen Allianzen warnte, nicht einmal der wunderbarste war. Zur kurzfristigen Zierde der Menschheit haben damals die jungen Vereinigten Staaten
noch andere gemacht, zuerst der alle, außer Thomas Paine, überstrahlende Franklin, der feinerweise dadurch weltbekannt wurde, daß er bei seinem Aufenthalt in London
(1765/66) als Abgeordneter der Assembly in seinen Eingaben und Protokollen die Besitztitel der vorkommenden Herren pennsylvanischen Grundeigentümer unterschlug, die Franklin
in seiner Lebensbeschreibung - man beachte das wohl! - als »angemaßte Titel« bezeichnet; während es Paine ablehnte, England als Mutterland der jungen Staaten gelten zu lassen:
Er bezeichnete sie als Zuflucht ganz Europas vor dessen Ungeheuern und Despoten! Dann der ganz andere Hamilton, welcher die Dialektik von Gesetz und Konstitution wie kein
anderer beherrschte, wie etwa schon die zusammen mit Jay und Madison verfaßten halbgöttlichen Federalist-Papiere bezeugen; indem die Zersplitterung des Römischen Reiches
Deutscher Nation vermieden werden sollte, beschworen sie die Amerikaner, eine starke Bundesregierung anzuerkennen. Aber der Sinn der frühen Amerikaner für Verfassung im
Gegensatz zur Legalität war weiter ausgebildet als je in Europa; wie hätten sie sonst den Odor des Landes der Verheißung, der Freiheit und der unbegrenzten Möglichkeiten
, mit welchem sie noch ihren Willkomm 1945 bei uns mehr als wohlfeil erkauft haben, sich verdient? Franklin war es, der durch seinen praktisch-frommen Universalismus einen noch
nicht vorgekommenen Menschentypus schuf: Der Geist der Unabhängigkeit war in diesem Aufklärer und Gründer der Amerikanischen Philosophischen Gesellschaft, der Europa auf
dem neuen Kontinent ein eigenes, schöneres Gesicht verlieh, recht eigentlich verkörpert; Jefferson, der klassizistische Baumeister der Unabhängigkeit, ist doch zu
kleindemokratisch. Symptomatisch ist Franklins Kampf gegen die Familie Penn; denn in den Staaten entwickelte sich neben der Freiheit aus Gewissen auf dem Boden der
Verfassung und der Gesetze eine Freiheit des Reichtums, die von Anfang an zu dem gesellschaftlichen Leben in stärksten Gegensatz geriet. Die blanke Freiheit und die blanke
Verfügung über die Quellen der Reichtümer in privater Hand führten zu einer Verfassungswirklichkeit, welche - völlig jenseits der in tausend Fesseln gebundenen kultivierten
Sittlichkeit Europas - neben dem ungeheuersten Terrorismus entfesselter Kapitale eine sehr feine politische Moral des Gewissens, die ursprünglich dem religiösen Gemeindeleben
des irisch-schottisch-angelsächsischen Christentums entstammte, dann in seiner calvinistisch-puritanischen Form die neue Welt begründen half, als zu der bedeutenden Macht
emportrieb, welche gegenwärtig fast als einzige in der Welt dem Schwung der marxistisch-leninistischen Wahrheit etwas ungeschickt, doch tapfer standhält. Schon vor der Mitte des
neunzehnten Jahrhunderts bildete sich dieses Moment auch schriftstellerisch in Emerson und Thoreau zu jenen bläßlichen mystischen Verrücktheiten aus, zu denen sich der britische
Spleen unter dem Einfluß des deutschen transzendentalen Idealismus im Grase der nordamerikanischen Prärie auswuchs, und womit sich die amerikanische Gesellschaft beweist,
ihren Dualismus von Innerem, Weltseele, und den Greueln ihres zivilisatorischen Fortschritts nicht in der Freiheit des Absoluten aufzuheben imstande zu sein; wovon das ungebrochene normannisch-feudale Chaos nur die
Spiegelung darstellt. Haben die Franken es auf dem Kontinent nicht geleistet, ihrer Sittlichkeit eine praktikable Form zu geben, wo sollte von einem Fränklein zu erwarten
sein, daß er seinen Praktikern eine Sittlichkeit schaffe? Nach dem deutschen Königtum, bei welchem die Macht gewählt wurde, haben wir in der amerikanischen Verfassung, die die
Macht durch das Gewissen entsühnt wähnte, den zweiten mißglückten Versuch, die Freiheit aus dem schwarzen Schoß der Zeit ans Licht zu heben, zu erblicken. Einen dritten
stellte der demokratische Zentralismus dar, mit welchem die Bolschewiki gegenwärtig die Macht zu kontrollieren suchen.”
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