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40. Jahrgang - InternetAusgabe 2006
James Cumes
SvZ Net 2006

Statecraft


Die Selbst-Zerstörung einer Supermacht

Vorwort zu Amerikas Selbstmörderisches Staatsführungsvermögen

“Zivilisationen enden durch Selbstmord, nicht durch Mord”
Arnold J. Toynbee

 

Als Neil Armstrong im Juli 1969 seine ersten Schritte auf den Mond setzte, war sein großer Sprung für die Menschheit eine einzigartig amerikanische Leistung. Amerikanische Vision und Management, amerikanische Wissenschaft und Technologie, amerikanische Finanzierung und Investition, amerikanische Tüchtigkeit und Sorgfalt, amerikanischer Wille, Planung und Hingabe hatten vollbracht, was mit Fug und Recht als die herausragendste menschliche Leistung des 20sten Jahrhunderts – vielleicht aller Zeiten bis dahin – bezeichnet werden kann. Amerika und die Amerikaner standen als einziges Land und als einziges Volk da, denen dies das gelingen konnte.

Doch dieses Ereignis kam zu einem Zeitpunkt, als die amerikanische Macht, wie die seither vergangenen Jahre mehr und mehr gezeigt haben, abzunehmen begonnen hatte.

Im Rückblick war der Gipfelpunkt menschlicher Leistung auch der Gipfelpunkt der amerikanischen Macht.

Im selben Monat, als ein Vorbote des amerikanischen Niedergangs, erhöhte das Federal Reserve Board der USA die amerikanische Zinsrate drastisch. Damit sollte eine damals mitten im kalten Krieg und dem immens heißen Vietnamkrieg vergleichsweise milde Inflation “bekämpft” werden. In seiner Wirkung setzte diese einfache Maßnahme der Wirtschaftspolitik einer Ära ein Ende, die bis dahin zu immer spektakuläreren Leistungen des amerikanischen Volkes und seiner Regierungen geführt hatte.

Von diesem Zeitpunkt an wurde der Wettlauf im Weltraum und vieles, was damit verbunden war, suspendiert oder zurückgefahren. Die Apollo-Missionen waren beendet. Mehr als drei Jahrzehnte sind seither vergangen und der Vietnamkrieg und der kalte Krieg sind Geschichte. Die Größe jedoch der amerikanischen Vision ist verblaßt, sei es für die Reise zu den Sternen oder für die Verwirklichung menschlicher Bestrebungen hier auf der Erde.

Im August 1971, nur zwei Jahre nach dem Spaziergang auf dem Mond und der gleichzeitigen Zinserhöhung zerriß die Nixon-Regierung die Bindung des Dollar an das Gold. Das „Goldfenster“ des Internationalen Währungsfonds wurde geschlossen. Nach einem Vierteljahrhundert seines Bestehens hörte der IWF auf, die Währungen der Welt zu überwachen, zu regulieren und zu stabilisieren. Den Währungen wurde das freie Schweben erlaubt. Einige Währungen durften fortan frei schwanken im Einklang mit den Handels- und Geldströmen, einige andere dagegen weniger frei als Mitgliedern einer Währungsgruppe oder als Anhängsel einer größeren Währung, in der Regel gekoppelt an den zwar an Wert verlierenden, aber immer noch starken Dollar.

Einen Monat bevor Nixon das „Goldfenster“ schloß, hatte sein Nationaler Sicherheitsberater Kissinger in Peking einen sensationellen Besuch abgestattet, der einem weiteren von Nixon selber im Februar 1972 voranging. Zwischen diesen beiden Besuchen debattierte die Generalversammlung der Vereinten Nationen ein weiteres Mal darüber, ob entweder Peking oder Taiwan den Sitz Chinas und damit, wichtiger noch, den eines permanenten Mitglieds im Sicherheitsrat einnehmen sollte. Dieses Mal votierte die Generalversammlung für die Volksrepublik, deren Regierung schließlich, 22 Jahre nach der Machtübernahme, ihren ihr zustehenden Sitz in den Vereinten Nationen und im Sicherheitsrat übernahm.

Es war ein heldenhafter Sieg für die Volksrepublik. Im selben Moment, während sich die Stagflation ausbreitete und nachdem das Goldfenster geschlossen worden war, wurde für die Volksrepublik ein noch größerer Sieg in den Arbeitsstätten und Kontors der Wirtschafts- und Finanzwelt vorbereitet. Im Laufe der Zeit würden sich die Zinserhöhungen durch die FED 1969, das Schließen des Goldfensters 1971 und die damit einhergehenden wirtschaftlichen und finanziellen Entwicklungen in einer grundlegenden Transformation der weltwirtschaftlichen Umgebung, der Balance nicht nur der wirtschaftlichen, sondern auch der politischen und strategischen Macht auswirken.

Nach dem ersten Ölschock 1973 brachten die siebziger Jahre an ihrem Ende noch einen zweiten und größeren Ölschock mit sich und sahen eine noch schärfere Inflation der Verbraucherpreise, besonders – aber nicht nur – in den Vereinigten Staaten. Die Inflation erreichte einen Spitzenwert 1980 mit 13,5%. Darauf antwortete die FED mit einem Spitzenzinssatz von 18%. Es ist faszinierend, daß dies gleichzeitig zusammenfiel mit Deng Xiaopings Proklamation einer neuen und verstärkten kapitalistischen Wirtschaftspolitik für die Volksrepublik China. Deng verkündete, China werde dem japanischen Modell folgen. “Reich zu werden“, fügte er hinzu, “wird herrlich sein.”

Obwohl er das wunderbare Potential damals nicht kennen konnte, hatte es Deng darauf angelegt, die volle, wenngleich unbeabsichtigte Kooperation der Vereinigten Staaten bei der Erreichung seiner wirtschaftlichen Ziele zu erlangen – zum “Reichwerden”. Seit den 70er Jahren bis heute ist die amerikanische Politik stetig darauf ausgerichtet, die wirtschaftliche Stärke Chinas und anderer Länder Asiens schnell und substantiell aufzubauen. Zur gleichen Zeit aber hat dieselbe Politik zu einem beständigen Abfluß von Lebenskraft aus der amerikanischen Wirtschaft geführt.

Nach 1982 sank die Inflation in den USA wieder auf normales Niveau, die Reaganomics kamen in Mode und die Vereinigten Staaten begannen, die kränkelnde Sowjetunion mit der Produktions- und Innovationskraft ihrer Wirtschaft und der Stärke ihrer Militärtechnologie immer härter herauszufordern. Mit weniger dramatischem Widerhall wurde im Hinterland von Hongkong eine industrielle Infrastruktur aufgebaut, auf der immer mehr Fabrikgebäude hochgezogen wurden. Eine Produktion kam auf den Weg, die zur gegebenen Zeit die Märkte in aller Welt beliefern sollte – einschließlich und besonders die riesigen Verbrauchermärkte in den Vereinigten Staaten.

Die Inflation in den Vereinigten Staaten blieb anhaltend gedämpft, während sich der Ölpreis stabilisierte. Von einem Spitzenpreis von 800 USD pro Unze, auf den das Gold 1980 hochgeschossen war, fiel der Goldpreis wieder auf 250 USD. Dagegen verwandelten sich die irregulären Handelsüberschüsse der USA in den sechziger Jahren über den Großteil der siebziger Jahre in Defizite. In den achtziger Jahren stiegen die Defizite jedes Jahr weiter an und wurden schließlich chronisch. Die Reaganomics und die Herausforderungen des Kalten Krieges ließen auch das Haushaltsdefizit der USA anwachsen. Obwohl dies in der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt blieb, wurde das Problem der Inlandsinflation durch das (billige) Angebot aus Übersee gelöst. Die Länder, die für dieses Angebot sorgten – und China dabei in immer stärker wachsendem Maße – hielten ihre Einkünfte als Dollarreserven und leisteten damit entscheidende Unterstützung zum Ausgleich des amerikanischen Handels- und Haushaltsdefizits.

Dieses Jahrzehnt der 1980er Jahre war eine Zeit des sich steigernden wirtschaftlichen und finanziellen Ungleichgewichts, doch am Ende dieses Jahrzehnts war die Verwirklichung des politischen und strategischen Ziels der Vereinigten Staaten erreicht: die Sowjetunion brach zusammen und damit auch das Sowjetreich. Die Satellitenstaaten wurden frei und die USA wurden zur einzigen, unangefochtenen Supermacht.

Dennoch wurden wiederum einige eher positive Trends gestört durch andere Entwicklungen, die sich im Hintergrund vollzogen. Vom Status des größten Gläubigerstaats glitten die USA immer tiefer in den Zustand der Verschuldung. In den späten achtziger Jahren – während sich gleichzeitig die Sowjetunion im Todeskampf befand – überschritten die Vereinigten Staaten die Grenze vom Terrain des Nettogläubigers zu dem eines Nettoschuldners.

Mehr als ein Jahrzehnt lang zuvor hatten Japan und die neu industrialiserten asiatischen Tiger den amerikanischen Verbrauchermarkt beliefert. Umgekehrt begann der Niedergang der amerikanischen Industrieproduktion. Die neuen Industrien Asiens übernahmen diese Produktion und fertigten immer komplexere Erzeugnisse mit steigender Qualität für den amerikanischen wie den Weltmarkt. Nun begann auch die Beschleunigung der industriellen Entwicklung in China, und mit dem Fortgang der neunziger Jahre verdichtete sie sich entlang der pazifischen Küste zur Versorgung der auswärtigen Märkte rund um die Welt.

In den 90er Jahren flackerte in den USA für eine Reihe von Jahren so etwas wie der innovative und unternehmerische Glanz ihrer Zeit des Wagniskapitalismus wieder auf. Die Börsen boomten, Unternehmensgründer sammelten über Nacht Vermögen ein, Realinvestitionen kamen wieder zum Zuge und gaben Teilen der Wirtschaft annähernd alte Vitalität zurück: Das Haushaltsdefizit verwandelte sich für drei Jahre, 1994-97 in einen Überschuß, sogar die Handelsbilanz verharrte eine Zeit lang in ihrer chronischen Abwärtsbewegung.

Dann brach wieder alles zusammen.

Zu viel Luft hatte zu viele Marktblasen aufgebläht. Die zugrundeliegenden Trends der Realinvestitionen, von Produktivität und Produktion erwiesen sich als zu schwach. Die Börsenkurse brachen zusammen. Die Anlageninvestitionen sackten ab. Der Finanzkapitalismus und die Verlagerung der Inlandsinflation in Außenhandelsdefizite trieben die Vereinigten Staaten immer tiefer in die nationale Verschuldung und zwangen die Haushalte zu immer exzessiverem Borgen zur Aufrechterhaltung ihres Konsumstandards. Immer mehr Leute fingen an, mit ausgefallen Finanzpapieren in einem Spiel mitzuspielen, bei dem – durch solche Obsessionen wie freie Märkte, Privatisierung und Globalisierung – die amerikanische und die Weltwirtschaft zum Feld für Spekulation, zu einem weltweiten Kasino geworden war.

Von der Welt stärkstem Gläubiger wurden die Vereinigten Staaten nun immer entschiedener zum weltgrößten Schuldner. Im Jahre 2005 belief sich die Staatsschuld auf 8 Billionen USD – ungefähr 60% des Bruttoinlandsprodukts -, wovon 40% von Nicht-Inländern, darunter Regierungen und Zentralbanken im Ausland, gehalten wurden. Die Verschuldung der Haushalte betrug 2 Billionen USD. Die Gesamtverschuldung von Staat, Unternehmen und Haushalten ergab zusammengerechnet ungefähr 41 Billionen, nach manchen Berechnungen sogar 49 Billionen USD. Nach Angaben des US-Schatzamtes hatte Präsident Bush in den fünf Jahren seiner Amtszeit mehr Geld geborgt als alle Präsidenten davor zusammengenommen. Die zweiundvierzig Präsidenten vor ihm hatten Kredite mit insgesamt 1,01 Billionen USD, die Bush-Regierung dagegen allein zwischen 2001 und 2005 mit 1,05 Billionen USD aufgenommen – ein Allzeitrekord, der aber immer noch mit einem Anstieg, so heißt es, um 1 Billion USD alle achtzehn Monate ständig übertroffen wird. Die einzige wenn auch zweideutige tröstliche Überlegung hierzu besagt, daß sich diese Gesamtschulden mit der Verringerung des Realwertes des Dollar auch stetig verringern. Umgekehrt aber führt das zu der ernüchternden Aussicht, daß der Wert des Dollar immer mehr in Auszehrung verfällt, wahrscheinlich sogar besonders beschleunigt im Verhältnis zu den Warenwerten von Gold, Öl und und anderen Rohstoffen.

Mit einer Verschuldung, deren Größenordnung sich nur wenige von uns vorstellen können, mit ausufernden Handelsbilanzdefiziten, mit einem verfallenden Industriesektor und einer rücksichtslosen Verringerung des Umfangs der qualifizierten Arbeiterschaft, mit einer Firmenpraxis, der die traditionelle Orientierung an Realinvestitionen, Produktivität und Produktion zugunsten von „Eigentümerschaft“ und spekulativen Unternehmungen abhandengekommen ist, scheinen die Vereinigten Staaten schleunigst auf dem Weg zum Ruin voranzugehen. Die unaussprechlichste aller Wirtschaftskrisen – mit einer Vielzahl von Themen, Gesichtspunkten und komplexen Auswirkungen – scheint in nur geringer Entfernung auf diesem Weg, auf dem wir uns jetzt befinden, zu drohen. Wenn sie uns ereilt, wird ein Chaos und Elend die amerikanische Wirtschaft und das amerikanische Volk treffen, wogegen die Große Depression der 30er Jahre nur eine blasse Vorahnung wäre - und sie wird ein Jahrzehnt oder noch länger andauern.

Aber diese Bedrohung geht weit tiefer als nur diese Aussicht. Die Vereinigten Staaten sind nicht nur als einer in der Horde Teil dieser Malaise, die jedem in der Welt zusetzt. Einige andere, besonders angelsächsische Länder, haben ähnliche Probleme. Aber während diese und die Vereinigten Staaten gestrauchelt sind, haben einige andere Länder unvorhergesehene Fortschritte bei der Entwicklung ihrer Wirtschaften erzielt und damit ihren Einfluß und ihre Macht in jedwedem Bereich vergrößert – ökonomisch, kulturell, politisch und, ganz besonders beunruhigend, strategisch. Die Vereinigten Staaten haben sowohl ihren eigenen Niedergang als auch den Aufstieg jener Länder organisiert, die als ihre tatsächlichen oder möglichen Rivalen angesehen werden können.

Darunter befindet sich China, das in den letzten beiden Jahrzehnten in der Rangfolge der hocherfolgreichen Wirtschaften sich soweit emporgearbeitet hat, daß es nunmehr zu den fünf größten Volkswirtschaften zählt. Nur die USA, Japan, Deutschland und vielleicht Britannien rangieren noch vor dem erwachenden Riesen. Wenn man die großen Unterschiede der Wachstumsraten in Rechnung stellt, wird China sehr bald den dritten Rang einnehmen und nicht wenige Jahre danach auch Japan überholen, das Land, das sich Deng 1979 als Vorbild ausgesucht hatte. Nur noch die Vereinigten Staaten werden den Platz davor innehaben, unterstellt daß die amerikanische Wirtschaft nicht mit ihren verschiedenen Blasen in einer Krise vorher zusammenbricht. Wenn die gegenwärtigen auseinanderklaffenden Wachstumsraten bestehenbleiben, wird China die Lücke zum Bruttoinlandsprodukt der Vereinigten Staaten sehr rasch schließen können und dann, obwohl sich dafür weder Jahr noch Tag angeben lassen, an erster Stelle der Wirtschaften in der Welt stehen und weiter wachsen.

Macht wächst denjenigen zu, die es verstehen im Strom der Zeit am besten Kurs zu halten. Diese Geschicklichkeit ist eng mit wirtschaftlicher Kompetenz verbunden: der Fähigkeit zum Management und Wachstum in der realen Wirtschaft auf der Grundlage von Realinvestitionen, steigender Produktivität und wachsender Produktion. Wirtschaftliche Macht stärkt auch die anderen Faktoren der Macht, insbesondere politische und strategische Macht. Üblicherweise zieht eine Veränderung wirtschaftlicher Macht und des Status, den solche Macht verleiht, Konflikte nach sich. Die Ursachen, die Konflikte auslösen können, sind verschieden, doch können sie solche entscheidenden Belange wie Zugang zu Öl und anderen lebenswichtigen Ressourcen beinhalten.

Auf diesen Grundlagen könnten wir eine Welt des Aufruhrs erleben, wenn den Vereinigten Staaten der Mantel der einzigen Supermacht in der Welt von den Schultern fällt und vielleicht von China oder einer Gruppe von miteinander zusammenarbeitenden Ländern aufgenommen wird. Die Bush-Administration hat sich jüngst in Gesprächen mit zwei seiner wichtigsten Verbündeten, Japan und Australien, über die „Eindämmung Chinas“ vernehmen lassen. Im selben Zuge hat sie mit Indien als einem möglichen Gegengewicht zu China die Köpfe zusammengesteckt. Australien hegt gegenüber einer solchen „Eindämmung“ seine Zweifel, während Japan sich dafür aufgeschlossen zeigt. Doch könnten jegliche Vorstellungen einer Eindämmung bereits ihr Verfalldatum überschritten haben. Um wirksam sein zu können, hätte man ihnen in der Politik der letzten zwanzig oder dreißig Jahre Einfluß zukommen lassen müssen, nachdem Nixon und Kissinger China ihre Besuche abgestattet hatten. Damit „Eindämmung“ heute überhaupt eine Bedeutung bekommen könnte, müßte genau jene Politik rückgängig gemacht werden, die China erst zu einem Kandidaten für „Eindämmung“ werden ließen. Allerdings scheint eben jene Politik ihre Aufgabe schon so sehr erfüllt zu haben, als daß sie heute oder, geschweige denn in den vor uns liegenden 10, 15 Jahren, noch umkehrbar wäre und die relativen Machtpositionen von China und den Vereinigten Staaten zueinander noch wesentlich beeinträchtigen könnte.

Die Stellung Indiens erscheint nicht so fest umrissen. Bei diesem Spätkömmling scheint noch eine geringe Chance zu bestehen, daß Indien in irgendeiner Weise “eingedämmt” werden kann – welche Bedeutung auch immer diesem Begriff von denen gegeben werden mag, die diese Politik unterstützen. Aber Präsident Bush und seine umherschweifende Außenministerin scheinen die Gründe für Umfang und Geschwindigkeit des Wachstums in China und Indien noch nicht verstanden zu haben, auch nicht, daß es für beide Länder die gleichen Gründe sind. Indien „einzudämmen“ würde die Rücknahme derselben politischen Ausrichtung erfordern, die Chinas Geschicken zu so wunderbarer Verwandlung geholfen haben. In Washington scheint die Politik eine solche Stufe der Überlegungen noch nicht erreicht zu haben, aber im Lichte der Politik der „Eindämmung Chinas“ könnten wir mit Verstand die Frage aufwerfen: wie lange wird es dauern, bis die Vereinigten Staaten auch Indien und vielleicht andere als Kandidaten für „Eindämmung“ sehen? Wenn es soweit käme, wäre die gegenwärtige Politik der Umgarnung Indiens dann ausreichend? Denn wenn nämlich Indien, statt Kandidat für „Eindämmung“ zu sein als „Gegengewicht“ zu China angesehen wird, dann müßte eine strategische Kehrtwendung der Politik, die China mächtig werden ließ, zugunsten eines raschen und grundlegenden Wachstums Indiens in einer widersprüchlichen Zweiteilung wiederum aufgegeben werden. Diese Komplexität der entstehenden Machtlage zu bewältigen muß für die derzeitige Bush-Regierung unlösbar schwierig erscheinen. Sie wäre auch für jede ihr nachfolgende Regierung eine einzigartige Herausforderung.

Die Herausforderung und Infragestellung als Supermacht ist sicher nur eine von vielen Schwierigkeiten, denen sich die Vereingten Staaten und ander Länder gegenübersehen. Die Politik der Vereingten Staaten – zu oft das Vorbild für andere – hat nahezu alle Probleme verschärft, welche die Menschheit heraufgeführt hat oder welche ihr aufgezwungen worden sind: die Umwelt, Armut, Bevölkerungswachstum, Rassen- und Religionskonflikte, Fragen der Rohstoffversorgung und die „Grenzen des Wachstums“, die Unausweichlichkeiten der fehlgeschlagenen Staaten, die Verbreitung von Krankheiten, die Plünderung der Ressourcen des Planeten durch immer unersättlichere Raffgier und so weiter. Diese Fragen sind nicht nur ungelöst; sie werden in der Tat, wenn auch nicht in leeren Reden, umfassend ignoriert und vernachlässigt. Jegliche Vision ist verlorengegangen. Aufklärung ist der Verfinsterung anheimgefallen. Übrig zu bleiben scheint – für die Vereinigten Staaten und in der Tat für uns alle -  nur noch mehr Selbstzerstörung.

„Amerikas selbstmörderisches Staatsführungsvermögen (Statecraft)“ ist die Geschichte dieser Entwicklungen. Es wird ein Bild von dem was voraufging gezeichnet, insbesondere der Jahre seit 1969; und es werden Wege vorgeschlagen, wie wir aus unserem gegenwärtigen Dilemma herausfinden könnten. Der Herausforderung, die sich vor uns auftürmt, wird nur schwer zu genügen sein. Eine „weiche Landung“ wird für die Welt sowohl politisch als auch strategisch ebenso schwer zu gewährleisten sein wie eine „weiche Landung“ für die amerikanische Wirtschaft und Weltwirtschaft. Freilich sind die Einsätze für die Zukunft der Menschheit und für die Fortdauer des Lebens auf dem Planeten wie für einzelne Länder die höchsten. Sie sind so hoch, daß wir die Herausforderung als einen absoluten Imperativ mit all der Energie und und aufgeklärten Voraussicht annehmen müssen, die wir aufbringen können.

Copyright © 2006 James Cumes. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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